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Bifurkation Melle: Hier werden aus einem Fluss zwei

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Bifur-was?!?

Wer uns Entdecker kennt, weiß, dass wir an rätselhaften Aufschriften wie "Bifurkation" nicht einfach vorbeifahren können. Also bringen wir beim Sonntagsausflug im Osnabrücker Land den Entdecker-Papa dazu, umzudrehen - und halten vor dem merkwürdigen Schild an, um uns die Sache genauer anzusehen:

„Bifurkation“, steht auf dem Wegweiser und dazu noch „Umweltbildungsstandort Melle-Gesmold“.

Das wollen wir genauer wissen! Ihr auch? Na, dann lest doch einfach mal diese Entdeckerstory und folgt uns auf eine spannende Reise quer durch die Fächer Erdkunde und Geschichte. Und auch ein Ausflug in die Welt der Märchen und Sagen darf nicht fehlen, wenn es um die Bifurkation in Melle-Gesmold geht!

 

Was ist überhaupt eine Bifurkation?

Das Wort stammt aus dem Lateinischen. „bi“ bedeutet zwei – und die „furca“ ist eine Gabel. Wir haben es hier also mit einer Gabelung zu tun, und zwar von Flüssen. Am Standort der Bifurkation in Melle verliert die Hase ein Drittel ihres Wassers an die Else.

Jetzt drängt sich direkt die nächste Frage auf: Was unterscheidet denn eine Bifurkation von einer normalen Flussgabelung?

Wer einmal auf eine Landkarte schaut, wird feststellen, dass sich relativ viele Flüsse gabeln, manche gleich mehrfach. Was ist also das Besondere an dieser Bifurkation in Melle? Tatsächlich entsteht hier nicht einfach nur ein neuer Nebenarm der Hase – sondern ein komplett eigenständiger Fluss, der sich später mit einem anderen Flusssystem vereinigt. Während die Hase über die Ems in Richtung Nordsee fließt, erreicht die Else die Nordsee über die Werre und Weser. Das ist eine geografische Besonderheit. Etwas Ähnliches gibt es nur an wenigen Orten auf der Welt, zum Beispiel in Südamerika am Orinoco.


Und wie ist die Bifurkation in Melle-Gesmold entstanden?

Dazu gibt es unterschiedliche Theorien:

Die einen meinen, dass eine Wölbung des Geländes die Entstehung begünstigt hat.

Die anderen glauben, dass der Mensch mitverantwortlich ist. Erste Erwähnungen des Phänomens stammen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert. Der neue Schlossherr von Haus Gesmold, Hermann von Amelunxen, brauchte Wasser für die Schlossmühle. Dafür hatte er ungefähr an der Stelle der heutigen Bifurkation „eine Verbindung von Hase und Uhlenbach vertiefen und zusätzlich eine hölzerne Rinne als Ableitung zwischen den beiden Bächen verlegen lassen“, heißt es auf einer Infotafel vor Ort.

1965 fanden Arbeiter Teile dieses Verbindungsrohres, das Wasser aus der Hase in den Uhlenbach, der späteren Else, leitete. „Staute sich das Wasser vor dem Wehr der oberhalb liegenden Krusemühle, konnte das überschüssige Hasewasser durch die Rinne zur Schlossmühle fließen“, erklären die Schilder, „ein ausgeklügeltes Wasserverteilungssystem“.

 
Allerdings half das der Familie von Amelunxen in wirtschaftlicher Hinsicht nicht viel. Völlig verschuldet musste sie Gut Gesmold 1608 an den Bischof von Osnabrück, Philipp Sigismund, abtreten.

 

Die Bifurkation als Kriegsmittel

Bald darauf begann der Dreißigjährige Krieg, und die Schweden standen vor Osnabrück. Doch der Bischof verschanzte sich hinter tiefen Wassergräben in der Stadt und war nicht bereit aufzugeben. Was also tun? Die cleveren Schweden hatten eine Idee, wie sich das Wasser der Hase für Kriegszwecke nutzen ließe und verdonnerten Bauern aus der Umgebung dazu, einen Damm durch die Hase zu bauen.

Die Taktik funktionierte: Durch den Abzweig floss ein Teil des Wassers Richtung Weser ab, das restliche Hasewasser reichte nicht mehr aus, um die Osnabrücker Stadtgräben zu füllen – und die Schweden eroberten den Bischofssitz.


Kämpfe um die Wassermehrheit

Mit Ende des Krieges hörte das Gezänk ums Wasser noch lange nicht auf:

Der durch die Kriegslist entstandene verbreiterte Abfluss hieß inzwischen Twellbecke. In den kommenden Jahrzehnten sollte dieser Graben – die spätere Else – für zahlreiche Auseinandersetzungen sorgen. Denn als der neue Schlossherr auf Haus Gesmold, Christoph Ludolf von Hammerstein, seine Mühlen ausbauen ließ, kam weniger Wasser in Osnabrück an.

Dämme wurden gebaut – und wieder niedergerissen. Mit der Woge der Empörung und den dazugehörigen Maßnahmen floss auch das Wasser mal stärker in die eine, mal in die andere Richtung. Am 16. Mai 1691 sprach die Regierung in Hannover ein Machtwort und verordnete den Umbau der Hasegabelung. „In den Unterlagen taucht nun in der Sprachregelung zum ersten Mal der Name Else für die Twellbecke, die Verbindung zwischen Hase und Uhlenbach, auf“, informiert der Umweltbildungsstandort.

 
Die einfache Formel: Zwei Drittel des Wassers sollten auf die Hase entfallen, ein Drittel auf die Else.
 

Mühlenstreit und Bauerntumult

Doch das System wollte sich nicht richtig einspielen. Kaum 100 Jahre später brandete der Streit ums Wasser und seine Kraft erneut auf. Diesmal waren es der Krusemüller und der Schlossmüller, die sich beharkten. Als der Krusemüller die Else zuschüttete, um mehr Wasser für den Antrieb seiner eigenen Mühle zur Verfügung zu haben, wurde er zu einer achttägigen Turmstrafe verurteilt. Das wiederum löste den „Gesmolder Bauerntumult“ aus. Revolution! Die Bauern aus der Umgebung befreiten ihren Krusemüller und machten den Gefängnisturm dem Erdboden gleich.

Gelöst wurde dieser Konflikt erst durch den Fortschritt: Die modernen Maschinen der Industrialisierung ersetzten die Wasserkraft – die beiden Flüsse durften endlich fließen, wie sie wollten.

Die Bifurkation als Ausflugsziel

Einen wirtschaftlichen Nutzen hatte das Gelände fortan nicht mehr – statt dessen standen nach dem zweiten Weltkrieg Gestaltungsfragen im Mittelpunkt. Nach zwei ergebnislosen Anläufen wurde der Standort der Bifurkation 1965 durch eine Steinmauer mit begehbarer Brücke kenntlich gemacht. Jetzt war die Zweidrittelteilung nach altem Recht endlich „in Stein gemeißelt“. Der neu gegründete Heimatverein Gesmold ergänzte 1978 im Flussdreieck einen Informationspavillon, später einen Grillplatz und eine Schutzhütte.

Mit dem im Jahr 2000 umgesetzten Entschluss, hier einen Umweltbildungsstandort einzurichten, veränderte sich der Landstrich noch einmal nachhaltig. Besucher finden nun ein Wassertretbecken und Fitnessgeräte, behindertengerechte Toilettenanlagen, einen Spielplatz, eine Aussichtsplattform, Skulpturen und ein gut ausgeschildertes Wegenetz mit Info-Tafeln vor.

 
Die Bifurkation ist zu einem beliebten Ausflugsziel geworden. Und wir freuen uns, dass wir dem Wegweiser gefolgt sind und viel gelernt haben!

Entdecker-Info

Die naturwissenschaftliche Begründung ist ja ganz interessant, noch besser gefällt uns allerdings die Sage die sich um die Entstehung der Flussteilung rankt. Der Heimatdichter Wilhelm Brinkmann aus Wellingholzhausen hat sie niedergeschrieben – wir geben sie hier mit unseren eigenen Worten wieder:

Die Sage handelt von dem jungen Ritter Herwarth und der schönen Müllerstochter Else.

Einst ging der Ritter im Hasetal jagen. Als er abends müde und durstig war, kehrte er in der Krusemühle am Ufer der Hase ein und bat den Müller um etwas zu trinken. Der schickte ihn in die Küche zu seiner Tochter Else.

Als die schöne Müllerstochter Herwarth einen Schale mit Milch gab, war es um ihn geschehen: Er verliebte sich auf den ersten Blick in das Mädchen. Umgehend steckte er ihr seinen Ring an den Finger und bat sie, seine Frau zu werden.

Das aber gefiel seinem Vater auf der Holter Burg überhaupt nicht! „Was, mein Sohn soll eine einfache Müllerstochter heiraten? Niemals werde ich das zulassen!“, sprach er und stürmte ins Tal. Am Ufer der Hase traf er auf Else und forderte den Ring zurück. Else aber antwortete: "Die Treue, die ich Herwarth versprochen habe, will ich nicht brechen." Da griff der Burgherr in seiner Wut zu seinem Dolch und stieß ihm den Mädchen ins Herz.

Weil diese Tat so ungerecht war, sprang das Wasser der Hase vor Empörung über das Ufer. Seitdem läuft der Fluss „Else“ aus der Hase durch den Grönegau der Weser zu.
Das Phänomen der Bifurkation ist selten auf der Erde.

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Entdecker-§§§

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CJ
CJ

14 Comments

  1. Barbara sagt:

    Hallo Ihr Entdecker!
    Was für eine Story! – Wow, schon wieder was gelernt. Bifurkation – das wusste ich wirklich nicht. Mal sehen, ob ich schneller zum Orinoko oder zu Hase-Else komme, um mir das in Echt anzusehen. Ich schreibe übrigens gerade an einem Artikel, bei dem aus zwei fast gleich breiten Flüssen ein bekannter entsteht; aber das ist nichts sooo besonderes.
    Und klar, auch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert gab’s schon Eingriffe in die Natur mit Folgen…
    Liebe Grüße
    Barbara

    • CJ sagt:

      Liebe Barbara,
      bei der jetzigen Lage wird es dann doch wohl eher Osnabrück? :-)))
      Ich fand das auf jeden Fall ganz spannend, was sich da alles für Geschichten hinter dieser unscheinbaren Gabelung verbergen!
      Und dass diese Flüssen sogar im Krieg eine wichtige Rolle gespielt haben!
      Ein lehrreicher Spaziergang auf jeden Fall!
      Liebe Grüße!
      CJ

      • Das ist ja wirklich interessant. Dem Begriff Bifurkation kannte ich bisher auch nicht.

        Der Streit ums Wasser ist ja leider sehr weit verbreitet, im kleinen wie im großen Maßstab. Gut, dass er wenigstens in Melle vorbei ist.

        Liebe Grüße Gina und Marcus

        • CJ sagt:

          Liebe Gina, lieber Marcus,
          ja, das habe ich inzwischen auch gelernt mit dem Wasserproblem. Hier in Deutschland ist uns das aber ja auch erst seit den trockenen Sommern so richtig bewusst. Ich freu‘ mich, wenn ich Euch was Neues erzählen konnte!
          Euer Entdecker-Carl 🙂

  2. Liebe Entdecker!
    Das ist ja wieder eine super spannende Geschichte und das Wort haben wir noch nie gehört! Ob wir es uns merken, können wir nicht sagen, aber der Begriff wird uns wohl noch etwas beschäftigen.
    Danke für die tolle Erklärung und die interessante Geschichte. Wieder was gelernt und das brav von zu Hause aus 🙂
    Liebe Grüße
    Ines und Thomas

    • CJ sagt:

      Liebe Ines, lieber Thomas,
      ja, schade, dass ihr nicht in der Nähe wohnt – dann könntet ihr dort einfach mal vorbeischauen!
      Eigentlich sieht das Ganze ja eher unspektakulär aus. Umso interessanter fand ich die wilden Geschichten um diese beiden kleinen Flüsslein. Dass die Schweden damit den Stadtgraben von Osnabrück trocken gelegt haben, ist doch echt ein Ding, oder?
      Liebe Grüße zurück – und in einem halben Jahr frag‘ ich den Begriff dann noch einmal ab! :-)))))
      CJ

  3. Angela sagt:

    So eine grausame Sage. Da mag ich die naturwissenschaftliche Erkärung doch lieber, auch wenn die ganz schön kompliziert klingt. Am allerliebsten mag ich die Namen. Dann gibt es wohl im Osnabrücker Land einen Wettlauf von Hase und Else, oder? 😉

    Liebe Grüße
    Angela

    • CJ sagt:

      Liebe Angela, das ist ja eine lustige Idee!:-)
      Die Sage ist wirklich schaurig. Wahrscheinlich gerade deshalb, weil es von Anfang an Streit um diese Flüsse gab?
      Auf jeden Fall macht Lernen so vor Ort viel mehr Spaß als im Klassenzimmer!
      Viele Grüße!
      Carl

  4. Miriam sagt:

    Oha – da hab ich doch tatsächlich einiges gelernt bei euch heute. Das Wort Bifurkation werde ich wohl nie vergessen. Im Übrigen finde ich es cool, dass ihr angehalten habt – das hätte ich wohl auch getan.

    • CJ sagt:

      Liebe Miriam,
      das freut uns total! 🙂
      Ja, auch direkt vor der Haustür gibt es viel zu entdecken. Dass eine Flussgabelung auch manchmal – ganz selten! – eine Bifurkation sein kann, ist doch eine Entdeckerstory wert, oder?
      Ganz liebe Grüße!
      CJ

  5. Marlene Klein sagt:

    Liebe Ines-Bianca, ich bin gerade auf der Suche nach dem Stichwort ‚Else‘ und ‚Bifurkation‘ auf Deine Seite gestoßen.

    Riesen-Kompliment dafür! Sehr informativ, professionell, sympathisch und liebevoll gemacht!!!!

    Toll!

    • Ines-Bianca sagt:

      Liebe Marlene,
      das ist ja ein tolles Kompliment! So ein Lob motiviert uns sehr! In der akuten Corona-Zeit ist unsere Entdeckerfreude ja etwas gebremst worden – aber wir hoffen, dass wir bald wieder ungehindert losziehen können.
      Ganz liebe Weihnachtsgrüße!
      Ines-Bianca

  6. Meyer Bernd sagt:

    Ich bin heute das erste Mal auf diese Bifurkationsseite gestoßen, tolle Fotos und Texte. Ich bin seit Jahrzehnten im Vorstand des Vereins, der die Naturseltenheit betreut. Wir pflegen sie, reparieren entstandene Schäden und säubern täglich das Gelände. An einem jeden Freitag sind um die 10 Leute dort vom Verein beschäftigt, um das Gelände in Ordnung zu halten, alles kostenlos.
    Wir freuen uns, dass wir zu jeder Tageszeit dort Besucher antreffen, die auch gerne wiederkommen. Nicht selten halten sich dort an normalen Tagen mehrere 100 Besucher auf.
    Der angeschlossene Grillplatz wird gerne angemietet, das runde Wassertretbecken lädt auch viele gesundheitsbewusste Bürger ein und die Fitnessgeräte werden gut angenommen.
    Wir als Heimatverein Gesmold sind froh, dass auch diese vorstehenden Seiten so toll aufgemacht sind. Es lohnt sich nach Melle-Gesmold zu kommen, der Weg nach Venezuela ist in wenigen Stunden kaum zu machen.
    Bernd Meyer

    • Ines-Bianca sagt:

      Lieber Herr Meyer,
      vielen Dank für den Kommentar – solche Rückmeldungen sind ein toller Lohn für unsere Arbeit und beflügeln uns, weitere Ziele dieser Art zu erforschen und darüber zu schreiben! Was Sie berichten, haben wir selbst erlebt: Das Gelände war ausgesprochen gut besucht, und alle Menschen waren sichtlich angetan von Ihrem Angebot!
      Da brauchen wir gar nicht nach Venezuela – ist im Sinne der Nachhaltigkeit eh besser, eine Radtour nach Melle zu unternehmen! 🙂
      Ihrem Verein ein großes Dankeschön für Ihren Einsatz!
      Ines-Bianca Hartmeyer

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