Nachts im Reichstag: Im Zentrum der Macht
28. Januar 2019Burg mit dunkler Vergangenheit
11. Februar 2019Das ist ja mal ein Ding! Gleich drei Frauen hat Kurt Tucholsky sein "Rheinsberg - Ein Bilderbuch für Verliebte" gewidmet:
Unsern lieben Frauen M. W. K. F. C. P.
S o heißt es in dem kleinen Büchlein, das 1912 erschienen ist. Wer jetzt denkt, hinter den Initialen könnten sich womöglich ganz harmlose Frauenzimmer verbergen - die Mutter vielleicht oder Schwester Ellen -, der liegt falsch. Tatsächlich ist nur die Erstgenannte aus dem Schneider: Dabei handelt es sich um Mania, die Freundin Kurt Szafranskis, der das Buch illustriert hat.
Danach wird es schon pikanter: Mit der einen, Kitty Frankfurther, war Tucholsky verlobt. Und mit der anderen, Medizinstudentin Else Weil, nach einer Figur aus Heinrich Manns "Schlaraffenland" liebevoll "Claire Pimbusch" genannt, weilte der Schwerenöter in Rheinsberg. Als "Ehepaar Gambetta aus Lindenau" mieteten sich die beiden Verliebten 1911 drei Tage lang im Doppelzimmer ein. Mitten in der noch nach strengen moralischen Normen tickenden Kaiserzeit! Skandalös? Iwo! Der Schreiber mit dem Kämpferherz ergriff die Flucht nach vorn und machte auch noch Scherze über sein Doppelleben:
"Es waren dreißig Exemplare - und weil wir es unseren Damen schenken mußten, die im Verhältnis 29:1 unter uns aufgeteilt waren, malten wir in alle Exemplare, damit es keinen Ärger gäbe, eine schöne 1."
„... und du durftest für preußische Verhältnisse schon eine ganze Menge.”
Übel genommen hat es Tucholsky aber niemand.
Im Gegenteil: "Rheinsberg", anfangs noch von den Verlegern wegen der kindlich-albernen Verliebtensprache der beiden Protagonisten Wölfchen und Claire abgelehnt, wurde schnell zu einem riesigen Publikumserfolg.
Warum?
Es passte einfach in die Zeit, die reif war für Veränderungen! Die malerische Kulisse des Schlosses nahm dieser "Lustreise" die Verruchtheit, das scherzhaft-verspielte Miteinander der beiden Verliebten übertüncht, dass es sich bei diesem Unterfangen - und der Dokumentation inklusive doppelter Widmung - durchaus um eine Art erotischer Rebellion handelt. Auf dieser Grundlage gelingt es der Edelfeder Tucholsky ganz nebenbei, der Emanzipation der Frauen ein literarisches Denkmal zu setzen: Seine Claire ist nicht nur als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit als Studentin eingetragen - sie bläst auch unbekümmert Rauch-Kringel in die Luft und benimmt sich überhaupt wenig damenhaft.
Fast klingen schon ein wenig die "Roaring Twenties" mit ihren langen Nächten und kurzen Kleidchen an, wenn die Pimbusch das brandenburgische Dorf aufmischt.
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Und nu? Schauen wir doch einfach mal rein, in das Bilderbuch für Verliebte, dessen Entstehungsprozess Kurt Tucholsky später so schilderte:
"Die Sache war damals so, dass ich das Buch, nach dem später generationsweise vom Blatt geliebt wurde, an der See schrieb, auf die Postille gebückt, zur Seite die wärmende Claire, und es, nach Berlin zurückgekehrt, Herrn Kunstmaler Szafranski vorlas. Das war eine Freude -! Der Dicke sagte, einen solchen Bockmist hätte er wohl alle seine Lebtag noch nicht vernommen, aber wenn ich es ein bißchen umarbeitete, und wenn er es illustrierte, dann würde es schon gehen."
Wo später die Pseudonyme herhalten müssen, unterzeichnet Kurt Tucholsky hier noch mit seinem vollen Namen. Und trotzdem tauchen alle Pseudonyme schon schemenhaft auf hinter den Zeilen ...
Liebesgeschichte mit Fallstricken
Auf den ersten Blick ist "Rheinsberg" die Geschichte eines Liebespaares, das drei ungestört-unbeschwerte Tage fernab der Berliner Großstadthektik verbringen möchte. Mit dem D-Zug fahren die beiden aufs Land, plappern in vertrauter Fantasiesprache miteinander, lassen sich von einem verschrobenen Kastellan befilzpantoffelt das Rheinsberger Schloss zeigen und streifen busselnd durch die märkische Natur.
Doch wie so oft bei Tucholsky, verbirgt sich hinter der gefälligen Fassade ein ganzer Blumenstrauß an Gedanken und durchaus kritischer Auseinandersetzung mit dem System. So modern der Kinematograph in der dörflichen Umgebung erscheinen mag - die Einstellung der "ackerbautreibenden Bürger" ist es keineswegs. Hier endet das Verständnis für den Übermut der Berliner Bohème bereits, als der "schunge Härr" sich mit in den Wäscheladen begibt. Ganz ohne Politik geht es ebenfalls selten beim Altmeister mit der scharfen Feder: Die deutsche Heimatliebe bekommt genauso ihr Fett ab wie die Windhunde-Leidenschaft des "zweiten Friedrich".
Und dennoch: Trotz der Provokationen und kleinen Nadelstiche, die manchmal hinter der oberflächlichen Fröhlichkeit auftauchen, und auch trotz der tucholskytypischen Melancholie, die bereits ein Vierteljahrhundert vor seinem Tod zu Beginn seiner schriftstellerischen Karriere durchscheint: Dieses Buch macht mir nach Jahrzehnten immer noch genau so viel Freude wie beim ersten Lesen!
Und natürlich wüsste auch ich für mein Leben gern, was denn nun in diesem geheimnisvollen großen, weißen Paket war, das im Hotelzimmer liegen geblieben ist!
Entdecker-Tipp
Bevor wir es vergessen:
Ja, natürlich lohnt sich ein Besuch in Rheinsberg!
Wir empfehlen neben einer Besichtigung des Schlosses unbedingt eine Bootstour. Vom Grienericksee aus erschließt sich die Pracht noch einmal aus einer ganz neuen Perspektive.
Wer sich zur Vorbereitung schon einmal zum Thema "Alter Fritz" einlesen möchte: Einfach auf den nebenstehenden Link klicken!
Entdecker-Info
Wie sind wir jetzt auf Tucholskys alten Schinken gekommen?
Ganz einfach: Kurt Tucholsky wird niemals aus der Mode kommen! Ob als schroffer Ignaz Wrobel, der "mit einer Schreibmaschine eine Katastrophe aufhalten wollte", als frivol dichtender Theobald Tiger, als nachdenklicher Kaspar Hauser oder als menschelnder und genießender Peter Panter - jedes seiner Pseudonyme kennt die Menschen - ihre liebenswerten Spleens wie ihre Abgründe - ganz genau. Und seine Beobachtungen waren damals genauso aktuell wie heute ...
Und dann gibt es da ja noch diesen Ort, Rheinsberg, der uns just im Zusammenhang mit dem Alten Fritz über den Weg gelaufen ist. Hier war Friedlich glücklich und konnte endlich aus dem Schatten seines übermächtigen Vaters treten.
Natürlich hat das Schloss auch seine dunklen Erlebnisse. Dennoch umgibt es durch die Vorgeschichte und das literarische Denkmal, das Tucholsky ihm gesetzt hat, ein heller Geist, wie wir finden!
12 Comments
Das sind ja mal spannende Einblicke. Ich wusste gar nicht, dass Tucholsky so ein Schwerenöter war! Ich glaube so ein Klassiker muss ich auch mal lesen. Tucholsky hatte ich nämlich damals im Deutsch Leistungskurs nicht wirklich.
Lg Miriam
Oja, Tucholsky war den Frauen sehr zugetan! Heutzutage sehen viele bloß den unerschrocken politischen Mahner – aber da gab es, durch die Pseudonyme wunderbar kategorisiert, noch viele andere Facetten … zum Beispiel die höchst frivolen Chansons eines Theobald Tiger … ? Vielleicht haben die den Deutschlehrer abgeschreckt?!? ?
Sehr interessant, mit Tucholsky habe ich mich tatsächlich noch nie beschäftigt, dafür besuchte ich Rheinsberg zu Ostern vor 2 Jahren. Als Barnimerin musste ich diese Bildungslücke unbedingt schließen. Vielen lieben Dank, dass du mir meine Heimat aus einen ganz anderen Blickwinkel gezeigt hast.
Diese einst so populäre Liebesgeschichte hat ja nun doch schon seit einigen Jahrzehnten an Fahrt verloren. Für (junge) Verliebte muss das heutzutage erscheinen wie ein Paralleluniversum mit der altmodischen Sprache, der altmodischen Kulisse, den altmodischen Denkmustern – und ohne Social Media … 🙂 Und man muss schon tief lesen und fühlen, um Parallelen zur heutigen Zeit ziehen zu können. Aber wir sind tatsächlich wegen Tucholsky nach Rheinsberg gefahren! 🙂
Ich bin mir gar nicht mehr sicher, ob ich das Buch wirklich gelesen habe oder es nur lesen wollte…
Muss mal wieder reingucken, dann kommt wohl auch die Erinnerung wieder.
Liebe Grüße
Gina
Die gute Nachricht ist: Das Büchlein ist wirklich nicht nur lesenswert – sondern auch relativ überschaubar. Nach einer Stunde bist Du durch! 🙂
Sehr spannend. Wie eine moderne Seifenoper, nur scheinbar etwas schwerere Kost… danke für die tolle Zusammenfassung 🙂
Liebe Grüße
Ines
Genau! Tucholsky war schon – trotz der turbulenten historischen Rahmenbedingungen – eine echte Drama-Queen! Seine Frauengeschichten sind legendär. 🙂
Schön recherchiert und interessant geschrieben. Ich finde es immer wieder klasse, wie früher so mancher Schriftsteller seine Liebesbeziehungen verarbeitet hat. Bei der vielen Heimlichtuerei ist dann doch die eine oder andere Romanffigur entstanden, weil das Leben eben doch einen kommunikativen Kanal braucht und nicht nur das eigene Kopfkino.
Habe den Artikel gerne gelesen.
Viele Grüße
Bruno
Das freut mich total! Als Jugendliche habe ich das Übliche von Tucholsky kennen gelernt und mich von seier Sprachgewandtheit begeistern lassen. Sein bewegtes Leben mit allen Achterbahnfahrten hat sich mir erst im Studium erschlossen, als er nach und nach zu meinem Examensthema wurde. Eine so spannende, so vielschichtige Persönlichkeit! Was seine Liebeleien angeht: So wirklich heimlich war er dabei nicht zugange! Nicht bei seiner Rheinsberg-Episode 1912 – und erst recht nicht mehr in den wilden Zwanzigern! Doch wie es oft so ist: Während die eine Hälfte in Berliner Nachtclubs ausgelassen gefeiert und geschmust hat, hat so manches Mägdelein zu Hause mit gebrochenem Herzen gesessen. In der Korrespondenz aus den verschiedensten Nachlässen findet sich dann das ganze Elend. Ganz abgesehen von den Weibsbildern, die später kurzerhand ihre eigenen Bücher über den Geliebten veröffentlicht haben, um nachträglich noch ein wenig vom Tucholsky-Ruhm zu erhaschen. Auch das nicht viel anders als in der heutigen Zeit bei den Reichen und Schönen … 🙂
[…] Rheinsberg: Mit Tucholsky auf Wolke 7 – Endeckerstorys […]
Liebe Ilona,
vielen Dank für den literarischen Ausflugstipp – dann schicken wir die Literaturfreunde mal auf den Weg! 🙂
Herzliche Grüße!
Ines-Bianca